Data Warehouse im stadtweiten Rechnernetz
Instrument im Dienstleistungsunternehmen Stadt Coswig/Sachsen
Dr. Bernhard Malsch
Zentrales Controlling der Stadt Coswig
Einleitung
Mit dem im Jahr 1990 begonnenen Aufbau einer demokratischen Verwaltung
in der Kleinstadt Coswig (25.000 Einw., 300 Beschäftigte, 42 Mio.
DM Umsatz) stellte sich die Frage nach den geeigneten rechentechnischen
Arbeitsmitteln, da wir als Organisationsentwickler und Rechentechniker
uns vergegenwärtigten, daß der Verwaltungsprozeß zu zwei Dritteln
seines Arbeitszeitaufwandes aus reiner Informationsverarbeitung
besteht. Das vorgefundene niedrige Niveau an DV-Technik in Coswig
erlaubte, sofort auf moderne Technologien der Informationsverarbeitung
abzuzielen. Client-Server-Archtektur und Drei-Ebenen-Netzhierarchie,
hochwertige Terminals auf AT-Niveau, Workflowtechnik und Datenbank
wurden deshalb von vornherein in das IT-Konzept der Stadtverwaltung
aufgenommen.
Jedoch der Anspruch von Bürgern, Investoren und Politik an die
Infrastruktur der Stadt sowie der angebotene Finanztransfer von
West an Ost überforderten jedes bisher praktizierte Projektmanagement.
Wir waren gezwungen für ca. 11 Verwaltungssachgebiete (35 Arbeitsplätze)
spezielle Software zu erwerben. Erst im Nachhinein wurde die datenbankorientierte
Gestaltung des Gesamtkonzeptes verfolgt, ohne daß den Verantwortlichen
die Tragweite dieser Vorgehensweise vollständig bewußt war. Es
bestand einfach der Zwang ein Return of Investment für die nicht
unerhebliche rechentechnische Investition (seit 1991 ca. 2,1 Mio.
DM) durch Umsatzsteigerung bei Aufwandsminimierung im Verwaltungsprozeß
zu erzielen. Die Datenbankfunktion wurde vorerst entsprechend
den allgemein bekannten Zielkriterien verfolgt:
- Ordnung, Koordinierung aller Datenquellen im Leitungs- und
Bearbeitungsprozeß;
- Primärer Aufbau von Datenbeständen, für die noch keine spezielle
Software erworben war;
- Aufbau eines dienststellenübergreifenden Informationsspeichers,
um mit Aktualität und Genauigkeit behaftete Informationen für
den gesamten verwaltungstechnischen Ablauf bei allen Nutzern
zu erreichen;
- Unterstützung für ganzheitliche Bearbeitung, sowohl in Bezug
auf die einzelnen Aufgaben, als auch aus der Sicht der Gesamtleitung
der Verwaltung, der Gesellschaften, der Betriebe;
- Unterstützung der Abbildung komplexer Vorhaben und Prozesse
mittels relevanter Informationsmodelle für eine effizienter
Entscheidungsfindung;
- Verminderung von Datenredundanz;
- Erzielung optimaler Zugriffszeiten.
Die Gestaltung des IT-Konzeptes und insbesondere der Datenbank
wurde ab 1992 zielgerichtet aus dem Beziehungsgefüge zwischen
Unternehmensstrategie, Organisationsentwicklung und bezahlbarer
Informations-/Kommunikationstechnik heraus entwickelt. Neue Verfahrens-
und Verhaltensweisen der Führung der Verwaltung im Umgang mit
selbständig wirtschaftenden "Betrieben" durch eine neue Art der
Steuerung ist die Grundlage für das IT - Konzept, dessen Kern
die Datenbankgestaltung darstellt. Dabei wird die Datenbank parallel
zur Nutzung vorhandener Filesysteme verschiedener Hersteller projektbegleitend
zum neuen Steuerungsmodell eingeführt.
Technologische Voraussetzungen
Die Unternehmensstrategie stützt sich auf eine Integration von
Organisationsentwicklung mit modernen Verfahren der Informations-/Kommunikationstechnik.
Ein Stadtrechnersystem mit flächendeckender Client/Server-Architektur
im stadtweiten Netz ist der hauptsächliche Gestaltungsbereich
mit ganzheitlicher Technologiebetrachtung für Entscheidungs- und
Controllingprozesse der Verwaltung. Die technologischen Ansprüche
führen zu ständigem, wechselseitigem Gestaltungswandel zwischen
Organisation und Informationstechnologie.
Diese qualitativen Veränderungen in der Struktur und Organisation
für Planung, Abrechnung, Bewertung, individuell differenzierter
Leistungsstimulierung, Vertragscontrolling erhöhen sprunghaft
den Bedarf an abzubildenden Datenbeziehungen, zu verarbeitende
Datenmengen und Anzahl an Kommunikationsverbindungen. Genauso
steigen die Ansprüche an softwaregestützter Integration von Planungs-,
Abrechnungs-, Zeitdispositionsverfahren. Damit wird eine tiefergehende
Integration von rechnergestützten Vorgängen in die Arbeitsprozesse
der Führung wie der Leistungsherstellung zur zwingenden Voraussetzung
für das Reformkonzept.
Die dazu aufeinander abgestimmten Schlüsseltechnologien und Produktivitätstreiber
sind
- Netzstruktur, Netztopologie
- Datenbank - Data Warehouse
- Workflow - Technologie
- Kommunikationstechnologie während einer Bildschirmsitzung
Dabei bestimmt die Datenbank die Qualität für Workflow -Technologie
und das Niveau der Kommunikation während einer Sitzung. Die spezielle
Anforderung an die Datenbankentwicklung bestand darin, parallell
Soft-wareentwicklung und Installation erworbener Software zu einer
Vielzahl von Arbeitsplätzen datenlogisch zu-sammenzuführen. Außerdem
sollte für Beratungs-, Planungs- und Entscheidungsprozesse über
alle Ebenen vom Sachbearbeiter bis zum Topmanager der Verwaltung
eine einheitlich im ständigen Zugriff stehende Datenbasis verfügbar
gemacht werden, deren technologische Aspekte im folgenden Punkt
erklärt sind.
Datenbank - Data Warehouse
Das Konzept der Datenbankentwicklung umfaßt :
- die Entwicklung eines logischen Datenbankmodells, das unabhängig
von der physisch existierenden Form von Datenbeständen die Gesamtheit
der Stadt und ihre Verwaltung abbildet (ganzheitliche Abbildung,
logische Basis für Data Warehouse-Konzept) (SILVERRUN)
- die umfassende Beschreibung der Speicherobjekte im Niveau eines
Data Dictionary mit 21 Attributen je Speicherbegriff (Bild 1)
- den Einsatz eines Datenbankmanagementsystems
- Tools für Datenbankauswertungen, Datenselektionen
- datenbankorientierte Software-Projektentwicklung bzw. Anpassung
unter Kopplung zu bereits vorhandenen Filesystemen.
1 Informationsbezeichnung im
Informationskatalog (Kurz-, Langbezeichnung,
Synonyme, Kennzahlen-Nr.) |
12 Notwendigkeit der Eintragung |
2 Definition |
13 Klassifikator (Ereignis, Zeit, Variantenabhängigkeit) |
3 Berechnungsformel |
14 Inhalt des Klassifikators (Beschreibung) |
4 gesetzliche Grundlage |
15 Typ der Information (z.B. Zeichenkette) |
5 Wert |
16 Format (z.B. fest, variabel) |
6 Dimension |
17 Stelligkeit |
7 Bezugsquelle |
18 Syntax der Information |
8 Informations- (Feld-)verantwortlicher |
19 Beispiele |
9 Zeitbezug |
20 Hinweise zur Verwendung |
10 Regionalbezug (Ortsteil, Stadt) |
21 Besonderheiten |
11 Variante |
|
Tabelle der Attribute je Speicherbegriff
Der parallele Betrieb von verschiedenen Filesystemen und der
schrittweise Aufbau von Dateien, die mittels DBMS verwaltet werden,
ist heute ein ganz normaler Umstand, mit denen alle rasch sich
verändernden Systeme rechnergestützt gestaltet werden. Diese
heterogene Struktur (Bild 2) schließt ein, daß das logische Datenmodell
alle Idents der zu speichernden Objekte, ganz gleich in welchem
System sie gespeichert sind, aufnimmt.
Über dieses Prinzip sind dann auch drill - down - Analysen möglich
(z.B. für Kosten pro Schüler), obwohl die abzufragenden Daten
in verschiedenen Datenorganisationen verwaltet werden. Die Orientierung
auf zwei sehr effizienteTool-Komplexe der DBMS-Umgebung, nämlich
SILVERRUN und BUSINESS OBJECTS förderte die Datenbankentwicklung
in Richtung eines Data Warehouses.
SILVERRUN unterstützt mit grafischer Benutzeroberfläche das Applikationssdesign
im heterogenen Netz so-wie Client/Server-Umgebung. Mit zusammengehörigen
jedoch unabhängig voneinander einsetzbaren Modu-len lassen sich
die Phasen der Datenbankentwicklung mit hoher Qualität aufeinander
abgestimmt durchlaufen:
- Analyse der abzubildenden Aufgabenkomplexe
- Funktionelle Spezifikation
- Struktureller Entwurf
- Logischer Entwurf
- Implementierungsentwurf
- Verteilungsentwurf
Schema des Data Warehouse - Konzeptes
Dadurch, daß SILVERRUN für zwanzig Datenbanksysteme Basis-Datentypen
vorgeben kann, wird die Dokumentierung der Speicherobjekte verschiedener
Filesysteme sehr erleichtert. Die Notationsvorschriften sind so
angelegt, daß beim Herauslösen eines Speicherobjektes aus seinem
bisherigen File dieses in seiner neuen Umgebung immer noch durch
das logische Datenmodell erkannt wird. Wenn z.B. ein Produkt-Nr.
verschiedene Namen aufweist (Produkt-, Leistungs-Nr, Produktgruppen-Nr.
o.a.) wird durch die gestaffelte Spezifizierung des Speicherobjekts
über sogen. Basetypes, Domains und Comon Items die Identität diese
Objekts eindeutig dokumentiert. So wird auch bei heterogenen Datenquellen
Datenkonsistenz und - integrität erzielt. Verwechslungen sind
auch unter diesen Bedingungen ausgeschlossen. Die Verarbeitung
in verschiedenen Softwarekomplexen, die nicht aufeinander abgestimmt
entwickelt wurden, wird somit widerspruchsfrei möglich.
Schließlich gewinnt man aus den Entity Relationship eXpert -
Spezifikationen ein relationales Datenmodell mittels des Moduls
Relational Data Modeler. Damit ist die Korrespondenz zu den vorhandenen
relationalen Datenmodellen effizient handhabbar.
Nutzenspotentiale, Nutzensergebnisse
Mit der neuen Steuerung der Herstellung von Verwaltungsdienstleistungen,
der damit sich herausbildenden Konzernstruktur, in der selbständig
rechnende Einheiten ihre Kerngeschäfte effektiv bewirtschaften
können, wird mit einem Produktivitätszuwachs von ca. 25 % gerechnet.
Die ganzheitliche Projektierung des Stadtrechnersystems mit Datenbank,
geografischer Verarbeitung, zentralisierter kaufmännischer Software,
Workflow, zentrale Kataloge, mandantengerechte Nutzung durch die
selbständigen "Betriebe" wird ein Produktivitätszuwachs von 20
% je Arbeitplatz angestrebt.
Die Rationalisierung durch bedarfsgerechtere Herstellung, kostenbewußtere
Betriebsführung wird zu Abbau von Arbeitsplätzen in fast allen
Produktbereichen führen. Jedoch wird der Holdingcharakter der
Verwaltungsführung, vor allem aber das verfügbare Informationsverarbeitungs-Know-how
Arbeitsaufgaben, die jetzt noch Fremdfirmen durchführen, nach
Coswig holen lassen. Dadurch werden wertschöpfende Arbeitsplätze
wieder geschaffen. Die Kosten für Informatiktechnik und -organisation
steigen trotz degressiver Hardwarepreise, was jedoch durch die
o.a. Produktivitätssteigerung mehr als doppelt kompensiert wird.
Mit den althergebrachten Maßstäben zu Ausgaben für Datenverarbeitung
in kommunalen Verwaltungen von 0,5 % bis 1 % des Verwaltungshaushaltes
wird die Verwaltungsreform nicht durchgesetzt werden können. Coswig
setzt jedoch 1996 dafür bereits 1,75 % des Verwaltunghaushaltes
ein. Die Unternehmen des freien Marktes liegen jedoch noch höher
(bei 2 bis 3 % ihres Umsatzes).
Schlußbemerkung
Eine Data Warehouse - Projektierung ist heute eine entscheidende
Grundlage für die Wettbewerbsfähigkeit von Dienstleistungsunternehmen.
Die städtische Verwaltung von Coswig steht im Standortwettbewerb
um die Herstellung kommunaltypischer Leistungen auf ihrem Hoheitsgebiet.
Die herkömmliche Technik, Organisation und Steuerung der Leistungen
kann den zukünftigen "Markt"-Ansprüchen nicht mehr stand-halten.
Die Organisationsentwicklung auf Basis moderner informationstechnologischer
Verfahren, d.h. daten-bankorientiert, Workflowtechnik, Front-end-Auswertungs-Software
mit multidimensionalen Eigenschaften, in der Kombination mit betriebswirtschaftlichen
Steuerungsmethoden und hochqualifiziertem Personals wird die Verwaltungsreform
auch in der Kleinstadt Coswig zum Erfolg führen.